Unser Vater **

 

Teil 2    Inhalt des Gebets / Das eigentliche Gebet

 

Der Text des "Unser Vaters" ist in Matthäus 6,9-13 und Lukas 11,2-4 überliefert. Es ist wohl der bekannteste Text der Christenheit. Sogar Menschen anderer Religionen sind diese Zeilen bekannt. Allerdings ist der Text nicht so harmlos wie er scheint. Wie so oft provoziert Jesus und regt zum Denken an. Seine Aussagen werfen Fragen auf.

Ich verzichte hier auf die Beantwortung solcher Fragen. Die Provokationen von Jesus will ich im Sinne von Jesus einfach stehen lassen. Keine schnellen Antworten also. Die Spannungsfelder nicht auflösen, sondern aushalten und nicht vorschnell Antworten geben.

Vater oder Papi

Damals, zur Zeit Jesus sprach man aus Scheu den Namen Gottes nicht aus. Es hätte ja bedeuten können, den Namen Gottes zu missbrauchen (2. Mose 20,7). Der Hohepriester durfte – und das geschah nur ein einziges Mal im Jahr – den Namen Gottes über dem Volk aussprechen und ihn somit auf das Volk legen: Jahwe. Kein Jude wird dieses Jahwe in den Mund nehmen, sondern immer in Ehrfurcht umschreiben mit Adonai, also Herr, oder mit Ewiger, Allmächtiger, Barmherziger oder ähnlichem (2. Mose 3,14 "Ich bin der ich bin"). Aber Jesus spricht den lebendigen Gott als Vater an. Im Text steht „pater“ das griechische Wort für Vater. Was für ein Affront! Wobei, auch im Alten Testament ist die Vorstellung von Gott als Vater bekannt und wird als Metapher verwendet. Sie hat aber nicht den gleichen Stellenwert wie im Neuen Testament. Dort spricht Paulus Jahre später vom "Papi": Römer 8,14 "Ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen Abba, Vater". 

Ein, zwei, drei Himmel

Jesus verwendet die Mehrzahl: "In den Himmeln" (Vers 9). Im Hebräischen gibt es von "Himmel" kein Singular. Das Wort "die Himmel" kommt lediglich im Plural vor. Dabei ist nicht klar, ob dabei die Vorstellung von Himmel immer als "mehr als 1" betrachtet werden muss. Psalm 8,4 "Wenn ich sehe die Himmel, Deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast". Im Neuen Testament spricht Paulus von einem 3. Himmel (2.Korinther 12,2-4).

den Heiligen heiligen

Im griechischen Text findet man das Wort agiastheto, das von agiazo stammt und soviel wie "aussondern für Gott" bedeutet. Das hier bei Matthäus und Lukas anzutreffende Wort ist eine Passivform, und bedeutet also soviel wie „werde für Gott ausgesondert“; oder eben „werde geheiligt“. Was aber soll geheiligt werden? Der Name Gottes. In Johannes 17,4+5 verwendet Jesus den griechischen Begriff "doxe", was verherrlichen bedeutet: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte. Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war!“ Paulus verwendet in 1. Korinther 6,11 das Wort hegiathäte: "Ihr seid reingewaschen und Gott hat euch zu seinem heiligen Volk gemacht, zu Menschen, die vor seinem Urteil als gerecht bestehen können". 

Das Reich Gottes ist da

Das Wort "Dein" differenziert. Es ist das Reich von Gott, das wir ersehnen, oder die Königsherrschaft Gottes, im Griechischen "basileia" genannt. Die anderen auf der Welt bestehenden Reiche stehen oft in starkem Widerspruch zu Gottes Reich. Der Begriff Herrschaft ist doppeldeutig: Es kann etwas über königliches Regieren oder über ein Herrschaftsgebiet aussagen. Es bezeichnet das dynamische Wirken Gottes in der Welt, wo sich Gottes Wille durchsetzt. Wo Menschen Gott als Herrn erkennen und anerkennen und einander nach seinem Willen lieben, dort ist Reich Gottes. Jesus hat ganz zu Beginn seines Wirkens dieses Reich als "nahe herbei gekommen" bezeichnet (Markus 1,15) und später als "mitten unter euch" (Lukas 17,21). Es ist also da, und es soll kommen?

 

Der Wille Gottes

Mit der Bitte "Dein Wille geschehe" (V11), stellt sich die Frage, ob sich Gott denn nicht durch zu setzen vermag. In vielerlei Hinsicht kann sich dieser Eindruck breit machen, angesichts der Not und dem Durcheinander in dieser Welt. Ist "Dein Wille geschehe" eher eine Proklamation oder einfach ein Bekenntnis oder ein Wunsch?

Es stellt auch die Frage, was denn Jesus unter "dem Willen Gottes" versteht. Er verstand seinen eigenen Tod am Kreuz als den Willen seines Vaters im Himmel für ihn selber. 

 

1.Timotheus 2,4

„Gott will, dass allen Menschen geholfen wird, und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

 

Brot für den Tag

Brot war damals das Grundnahrungs- mittel. Für das tägliche Brot bitten? In unserer heutigen Zeit und hier in unseren Breitengraden ist das fast unvorstellbar. Wer in der Schweiz lebt, hat das Glück, in einem Land zu leben, das keinen Hungers kennt. In unseren Lebensmittelgeschäften sind die Regale übervoll mit vielen leckeren Dingen, da stöhne ich höchsten über die Qual der Wahl, welches Produkt ich nun kaufen soll. Wozu soll ich da Gott bitten, mir das tägliche Brot zu geben? Unser Problem ist eher der verantwortungslose Umgang mit dem was uns gegeben ist. Ungefähr ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel geht verloren, wird zerstört oder weggeworfen. In der Schweiz kommt es durch die Landwirtschaft, den Transport, die Verarbeitung und den Handel zu einem Verlust von 200 Kilogramm Lebensmittel pro Einwohner/in und Jahr. Die Haushalte werfen weitere 100 Kilogramm weg. Das sind 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr - allein in der Schweiz. Die Nahrungsmittel landen oft noch verpackt im Abfall, weil die eingekauften Mengen nicht den Bedürfnissen entsprechen oder das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.

Vergeben als Bedingung

Jemand, ist beispielsweise, an mir schuldig geworden. Er hat mir Schaden zugefügt und entschuldigt sich nicht. Es findet auch keine Wiedergutmachung statt. Vielleicht fühlt er sich sogar im Recht. Diesem Menschen muss ich vergeben!? Jesus geht noch weiter: "so wie wir vergeben“. Und dann doppelt er nach in Matthäus 6,14-15: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlische Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird auch euer Vater eure Verfehlungen nicht vergeben.“ Das ist dicke Post. Jesus unterscheidet nicht, zwischen großer und kleiner Sünde. Er sagt klar und unmissverständlich: Wenn du Vergebung brauchst und ohne diese bist du kein Kind Gottes, musst du Vergebung aussprechen, egal, ob es dir passt oder nicht. Wie ist das nun? Ist Vergebung reine Gnade, oder ist sie an eine Leistung unsererseits geknüpft?

 

Gott versucht

Gott versucht nicht, so steht es jedenfalls bei Jakobus (1,14): „Wenn ein Mensch in Versuchung gerät, soll er nicht sagen: »Gott hat mich in Versuchung geführt.« So wie Gott nicht zum Bösen verführt werden kann, so verführt er auch niemand dazu. Es ist die eigene Begehrlichkeit, die den Menschen ködert und einfängt.“ Und jetzt sollen wir also Gott um etwas bitten, etwas nicht zu tun, was er so wie so nicht macht - ein Paradoxon. Wenn Gott gut ist, wieso sollte er den Menschen, das Geschöpf nach seinem Ebenbild, versuchen (V13 „peirasmos“)? Wer der Versucher nun wirklich ist, bleibt offen. Und ob nun Gott verantwortlich für die Versuchungen ist, bleibt fraglich. Durch die Willensfreiheit, die uns Gott gegeben hat, ist der Mensch in der Lage selbst zu entscheiden, auf das Böse einzugehen. Das Böse aber fasziniert uns Menschen.

 

Der, die, das Böse

Böses kann in gewissem Masse in Schranken gehalten werden. Doch wenn diese Schranken wegbrechen, gibt es kein Halten mehr. "Erlöse uns von dem Bösen" (V13). Spircht Jesus von Satan (2. Thess 2,3-12) dem Widersacher Gottes, dem Bösen schlechthin, oder meint Jesus einfach böse Gedanken, böse Handlungen (1. Mose 8,21)?

Um mich vom Bösen zu erlösen, muss eine Veränderung meines Herzens erfolgen und nicht nur eine äussere Befreiung. Gottes will in uns etwas Neues, Reines, Heiliges schaffen, eine neue Schöpfung. Er möchte durch seinen Heiligen Geist im Menschen wohnen und ihn leiten. Wenn man Gott in sein Leben einlädt.

 

 

Angesichts der vielen Fragen und Spannungsfelder stelle ich mir die Frage, was denn Jesus den Jüngern mit auf den Weg geben wollte. Kann es sein, dass er gar nicht ein abgeschlossenes Gebet zum Aufsagen weitergeben, sondern eher zum Denken anregen wollte? Wenn das der Fall wäre, dann aber ist die Art, wie die Christenheit im Lauf der Geschichte mit dem Gebet umgegangen ist, dem entgegengesetzt, was Jesus beabsichtigt hatte.

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